Ich war bisher zwei Mal auf dem Brocken. Das erste Mal vor 33 Jahren. Da war ich ein Kind. Ich hatte kurze Hosen an. Es war kalt. Ich erinnere es, als wäre es gestern gewesen. Dass oben auf dem Berg das Wetter ein anderes als weiter unten war, habe ich damals nicht verstanden. Ich dachte wie ein Kind. Dass oben ein anderer Wind weht und man bei Nebel Null Fernsicht hat, ging mir nicht in den Kopf. An die Gänsehaut erinnere ich mich bis heute.
Das zweite Mal bestieg ich den Brocken zusammen mit Soldatinnen und Soldaten vor drei Tagen – diesmal mit langen Hosen und warmer Jacke. Ich kannte den Wetterbericht: -1 Grad, Nebel und Schnee. Ich fand genau das, was angekündigt war. Gefröstelt hat mich dennoch, obwohl ich bestens eingepackt war.
Die Kindheitserinnerung war noch in mir. Das Gefühl von damals zitterte sich auf meiner Haut entlang. Wieder war es kalt und wieder gab es nichts zu Sehen als eine Nebelwand.
Erinnerungen sind ein harter Brocken. Sie lassen einen frösteln. Sie fühlen sich unangenehm an und ich schaue in einen Nebel, sehe bruchstückhaft oder gleich gar nichts. Wir tragen sie mit uns herum wie ein Bild aus der Kindheit und die Gefühle bleiben an uns haften. Sie kommen wieder und bleiben – seien es 33 Jahre oder mehr. Der November ist der Monat der Erinnerung.
Diesen Sonntag – Volkstrauertag: Erinnerung an eine traurige Vergangenheit, die heute andernorts erlebt wird. In einer Woche – Ewigkeitssonntag: Erinnerungen daran, wer einmal bei mir war. Damit uns die Erinnerungen an Vergangenes nicht nur im Nebel frösteln lassen, brauchen sie Weite. Dann verwandeln sie sich.
Wie? Wir kehren immer wieder zu ihnen zurück, bleiben aber nicht bei ihnen stehen und frieren an der Vergangenheit fest. Wir zünden ihnen eine Kerze an und besuchen sie – die Gräber und die Erinnerungen. Und dann gehen wir weiter mit ihnen, aber mit einem anderen Gefühl: ohne Nebel und weniger kühl.
Gedanken zum Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr von Eric Haußmann, Militärpfarrer in Burg
Andacht: Superintendentin Ute Mertens
Musik: Kammerchor Laudate
unter der Leitung von Thorsten Fabrizi